Ein herrlicher Geländetag bei strahlendem Sonnenschein – schöner hätte die Olympia- und EM-Sichtung auf dem Gelände des baden-württtembergischen Haupt- und Landgestüts nicht zu Ende gehen können. 

 

Der Mann aus dem Schwarzwald muss eine eingebaute Uhr haben. 6:28 Minuten betrug die sogenannte Bestzeit für den von Rüdiger Schwarz konzipierten Geländekurs, nach 6:25 Minuten galoppierte fischerChipmunk FRH unter Michael Jung über die Ziellinie. Das Gesamtergebnis: 27,7 Minuspunkte. Auch mit dem zehnjährigen Highlighter ritt er unter die Platzierten – Rang 17. Und schließlich hatte er ein drittes Eisen im CCI4*-Feuer. Und da wird sich so mancher verwundert die Augen reiben – Michael Jung mit einem Pferd ganz am Ende der Ergebnisliste unter „Eliminated“, also ausgeschieden. Der Grund: Der Schwarzwälder mit dem außergewöhnlichen Zeitgefühl hatte schlicht ein Hindernis ausgelassen. So etwas passiert den Besten. Und bei einem Mann, dessen Programm in den letzten Wochen unter anderem aus dem Sieg in der Drei-Sterne-Vielseitigkeit von Radolfzell, seiner eigenen Hochzeit, dem Sieg in der renommierten Mannheimer Badenia – im Springsattel wohlgemerkt – und schließlich den Ritten in Marbach bestand, ist ein klitzekleiner unkonzentrierter Moment schon mal drin.

Auch Sandra Auffarth, wie Jung Mitglied des Championatskaders und Kandidatin für ein Ticket nach Tokyo – nach Dressur Vierte und im Springen fehlerfrei – ließ es „knacken“ und brauchte mit Viamant du Matz 6:33 Minuten für den gut drei Kilometer langen Ritt mit 28 Sprüngen. Zwei Strafpunkte für Zeitüberschreitung bedeuteten ein Endergebnis von 28,7 Punkten und Platz zwei für die Profireiterin aus Ganderkesee. Mit Let’s Dance, der 14-jährigen Holsteiner Stute Let’s Dance belegte sie außerdem Platz fünf.

Apropos Profi: Im Rahmen des CCI4*-S wurde auch das Championat der deutschen Berufsreiter im Vielseitigkeitssattel ausgetragen und somit ist Michael Jung auch Champion der Profis – übrigens zum siebten Mal!– und Sandra Auffarth Vize-Championesse. Championatsbronze ging an den gebürtigen Gomadinger Dirk Schrade, der  nach der Dressur mit dem Holsteiner Casino auf Rang 28 gelegen hatte und im Gesamtclassement Platz sechs belegte. Mit nur 3,2 Zeitstrafpunkten war sein Geländeergebnis das neuntbeste. Ohne Zeitfehler blieb außer Michael Jung nur die Österreicherin Lea Siegl mit DSP Fighting Line, einem 14-jährigen, in Bayern gezgenen Sohn des Vollblüters Ostermond. Hinter ihr reihte sich der in England lebende Australier Andrew Hoy mit Angloaraber Vassily De Lassos ein, auch er mit  einem hervorragenden Geländeresultat von nur 0,8 Zeitstrafpunkten.

Auch Europameisterin Ingrid Klimke, eine weitere Anwärterin für ein Ticket nach Tokyo, blieb im Gelände ohne Hindernisfehler. Mit ihrem 17-jährigen, routinierten Spitzenpferd SAP Hale Bob OLD, mit dem sie nach Dressur Platz zwei belegt hatte, der im Parcours aber zweimal die Stangen in den Sand fallen ließ, belegte sie am Ende Platz acht. Und Ingrid Klimke zum zweiten: Im Sattel der Stute Equistros Siena just do it – Platz zwölf nach Dressur, fehlerfreie Runde im Parcours – wurde sie Neunte.

 

Unglücklich lief die Prüfung für die Belgierin Karin Donckers, die seit 1992 in Barcelona bei allen Olympischen Spielen am Start war. Ihre 15-jährige Stute Grandioz, mit der die routinierte Reiterin vergangenen Dezember in Barocco d’Alva das CCI3*-S gewinnen konnte, verletzte sich bei der Landung nach Sprung 23, dem Marbachbogen. Die Reiterin bemerkte das und stieg vom Pferd, das deutlich lahmte, sofort tierärztlich versorgt und zur weiteren Abklärung und Behandlung in eine nahegelegene Klinik gebracht wurde. Nach Dressur und Springen hatte das Paar auf Rang 18 gelegen.

 

Noch etwas Statistik: 84 Paare waren ursprünglich im CCI4*-S am Start, 70 konnten die Prüfung beenden. Von den 14, die nicht ins Ziel kamen, waren drei bereits im Springen ausgeschieden, sieben hatten vor dem Start ins Gelände zurückgezogen,  drei gaben unterwegs auf und nur eines musste ausscheiden. Und so war auch Gelände-Parcourschef Rüdiger Schwarz hochzufrieden: „Die Hindernisse hatten die reellen Vier-Sterne-Abmessungen, aber der technischen Schwierigkeitsgrad wurde nicht ausgereizt, eine freundliche, motivierende Prüfung also. Das hat sich als genau richtig erwiesen, denn viele Pferde hatten in dieser Saison bisher erst eine Startmöglichkeit“, so der langjährige ehemalige Bundestrainer der jugendlichen Vielseitigkeitsreiter.

 

Auch die Turnierleitung zog eine rundum positive Bilanz. „Olympia- beziehungsweise EM-Sichtung für Reiter und Pferde aus zwölf Nationen bei bestem Wetter und letztendlich hervorragendem Geläuf – was will man mehr?“, so Iris Goedicke-Ruggaber, die als sportliche Leiterin des Turniers verantwortlich zeichnet. Und Dieter Aldinger, Gesamtleiter des Events, fügte hinzu: „Als wir gebeten wurden, das Gelände des CCI4*-S um einen Tag zu verschieben, hat das natürlich einen großen organisatorischen Aufwand bedeutet. Dass wir das so auf die Beine gestellt haben, war nur möglich, weil wir ein Spitzenteam sind. Und damit meine ich alle, jeden einzelnen unserer motivierten Helfer.“

Foto: „Lutz Kaiser“